…warum der Patient nicht in jedes Krankenhaus gefahren werden sollte.

EIN DENKANSTOß

Es ist sicher jedem Retter in der Theorie klar, dass jeder Notfallpatient entsprechend seinen Symptomen in ein Krankenhaus gehört, welches die Symptome und eben auch die dahintersteckende Erkrankung behandeln kann.
Der Apoplex braucht eine Neurologie, ein MRT bzw. ein CT. Der Harnverhalt braucht eine Urologie. Der Herzinfarkt braucht einen Katheterplatz.

Das Gesetz über den Rettungsdienst im Land Brandenburg (Brandenburgisches Rettungsdienstgesetz – BbgRettG) hat da auch eine ganz klare Aussage dazu:

§ 3
Begriffsbestimmungen

(2) Die Notfallrettung soll unverzügliche lebenserhaltende Maßnahmen einleiten und weitere schwere gesundheitliche Schäden bei Notfallpatientinnen und Notfallpatienten verhindern. Sie soll ihre Transportfähigkeit herstellen und Notfallpatientinnen und Notfallpatienten mit einem Rettungsfahrzeug unter fachgerechter Betreuung in eine für die weitere Versorgung geeignete Gesundheitseinrichtung befördern.

Die “geeignete Gesundheitseinrichtung” ist hier das Zauberwort.

Nun ist es aber so, dass lange nicht jeder Retter sich dieser Verantwortung bewusst ist. Gerade, wenn man als Notfallsanitäter auf beiden Seiten der Patientenübergabe arbeitet, dann erlebt man die interessantesten Situationen.
Oftmals ist es pure Unwissenheit, vielmals auch Unwohlsein, meist aber die reine Faulheit, die Notfallsanitäter das “nächstgelegene” (ohne “geeignete”) Krankenhaus anfahren lässt.

Wenn man dann z.B. einen Hinterwandinfarkt, wie auf dem Bild zu sehen, in ein Krankenhaus (Regelversorger) transportiert, welches nicht über ein Linksherzkatheder verfügt, dann sollte man sich zumindest als Notfallsanitäter die Frage stellen, ob man der Richtige im Job ist. Noch klassischer kann ein Infarkt EKG nicht aussehen, zumal der Patient auch noch die passenden Symptome dazu hatte… Aber immerhin wurde ein 12-Kanal EKG geschrieben, welches aber in letzter Konsequenz keinerlei Effekt für den Patienten hatte:

Was heißt das auf den konkreten Fall zum bezogen:

  • die Med.-Gabe erfolgte mit einem Zeitverzug von 45 bis 60 min
  • eine Schmerztherapie erfolgte präklinisch gar nicht
  • die Zuführung zum Linksherzkatheter erfolgte mit einer Verspätung von 3h
  • der Patient wurde schlussendlich vom Regelversorger in ein KH verlegt, welches 4mal soweit vom Zuhause des Pat. entfernt ist – im Vgl. zum Maximalversorger
  • 800 Euro für den Einsatz des Rettungswagen bei der Erstalarmierung
  • 1800 Euro zusätzlich für die Verlegung vom Regelversorger zum Linksherzkatheter
  • die Rettungsmittel, welche die Verlegung durchführten waren 2h nicht im primären Einsatzbereich verfügbar
  • 1h unnötige Blockade des Schockraums des Regelversorgers

Man kann jetzt mal weiter spinnen, was das alles für die umliegenden Rettungswachen des Regelversorgers bedeutet, für die Menschen im Einzugsgebiet des Regelversorgers und der dazugehörigen Rettungswache, welche die Verlegung fahren musste – auch immer im Kontext dass der Rettungsdienst einer steigenden Flut an Einsätzen Herr werden muss.

Und! Die ewig aufkeimende Diskussion um sinnlose Einsätze, über die wir uns immer beklagen – und die wir selber produzieren.

Und alles nur, weil eine falsche Entscheidung – wissentlich oder unwissentlich – getroffen wurde.

Was hier aber noch fehlt, ist die rechtliche Betrachtung des Falls. Welche Konsequenz hätte der Tod der Patientin auf der Verlegung möglicherweise gehabt? Womöglich noch mit Angehörigen, welche vom Fach sind und Einblick in die Patientenakten gefordet hätten?

Wie hätte das RTW Team die Auswahl des Krankenhauses begründet?
Wie hätte der ÄLRD das Nichterkennen des Infarkts begründet?
Hätte sich ein Richter an der Pocket-Leitlinie Therapie des akuten Herzinfarktes bei Patienten mit ST-Streckenhebung (STEMI) der deutschen Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung e.V. orientiert, in der schnellstmöglich ein Linksherzkatheter gefordert wird?
Wäre der verantwortliche Landkreis in die Haftung für das ersteintreffende RTW Team gegangen?
Hätte es berufliche Konsequenzen für das RTW Team gegeben?
Und wie schaut es zivilrechtlich aus?

Fragen über Fragen, die in diesem Fall (zum Glück) niemand stellt.

“Time is Brain”, “Time is Muscle”, “Golden Hour of Shock”, “Golden Hour of Traum” – wir alle kennen diese zeitkritischen Situationen, welche ein schnelles Handeln, einen schnellen Transport und eine schnelle Weiterbehandlung im Krankenhaus fordern. Es muss aber auch das richtige Krankenhaus sein.

Das “schnell wieder auf der Wache sein wollen”, das “die in der Notaufnahme sind aber immer schlecht gelaunt”, das “ich wollte aber nicht mit dem Neurologen telefonieren”, das “na ihr könnt das doch auch hier machen” sind alles keine Ausreden, die eigene Unlust, Faulheit oder das eigene Nichtwissen über das Wohl der Patienten zu stellen.

Im “besten” Fall verzögert sich nur die adäquate Behandlung des Patienten. Im schlechtesten Fall sterben Menschen. Vielleicht der Patient, vielleicht aber auch jemand, der eigentlich den RTW benötigt, der gerade jemanden verlegt, der im falschen Krankenhaus gelandet ist.

Dieses “Voraus – und Mitdenken” zeichnet auch den guten Retter aus. Ebenso wie das Erkennen der eigenen Unsicherheit oder Unwissenheit.

* Diese Formulierung gibts ja gar nicht. 😉

Das “nächstgelegene geeignete Krankenhaus”* oder…
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8 thoughts on “Das “nächstgelegene geeignete Krankenhaus”* oder…

  • Leistungsangebot ist in den genannten Fall des Krankenhauses gegeben.

    [Link entfernt, da im Kontext des Beitrags nicht zielführend – Herr Schulz]

    1. Notfallpatienten werden durch den Rettungsdienst in Notaufnahmen oder Rettungsstellen transportiert.

  • Wenn man hier schon auf dem RD rumhackt sollte man bitte auch alles beleuchten und neutral Auswerten. § 12 des Rettungsdienstgesetz (Ortsnahe Notfallversorgung
    (1) Die Krankenhäuser sind entsprechend ihrem Versorgungsauftrag zur ortsnahen Notfallversorgung verpflichtet. Sie haben die organisatorischen, personellen und sachlichen Vorkehrungen zu treffen, damit die Notfallpatientinnen und Notfallpatienten unverzüglich für die weitere Versorgung übernommen werden können. Sie haben zudem dafür Sorge zu tragen, dass die Notfallpatientinnen und Notfallpatienten für die weitere Versorgung unverzüglich stationär aufgenommen oder von einem anderen Krankenhaus übernommen werden.)

    1. Vielen Dank für Deinen Kommentar. Leider ist ein konstruktiver Austausch nicht möglich, da Du anonym kommentiert hast. Dennoch möchte ich noch ein paar Worte dazu verlieren.

      Zunächst diente dieser Post ausschließlich der Sensibilisierung für derartige Sachverhalte. Das genannte Beispiel war und ist eben entsprechend auch nur ein Beispiel.
      Zusätzlich, als Antwort auf Deine Zeilen und Ergänzung zu oben genanntem Post, hier noch ein paar Dinge.

      Wäre im Beispiel die Brisanz erkannt worden, und eine entsprechend notwendige Leitliniengerechte Voranmeldung, mindestens über Ivena erfolgt, wäre aufgefallen, dass an diesem Tag eine Katheteruntersuchung nicht hätte stattfinden können.
      Weiterhin empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie die Versorgung von derlei Patienten in einer Chest-Paun-Unit.
      Auch die ist in beschriebenen Regelversorger nicht vorhanden. Im gleich weit entfernten Maximalversorger jedoch schon.

      Abschließend möchte ich nochmal auf das Ziel dieses Posts hinweisen. Wer ehrlich zu sich selbst ist, findet in seiner Vergangenheit möglicher Weise ähnliche Gedanken, wie beschrieben.

      Grüße aus dem Spreewald.

  • Hallo, das EKG zeigt keinen Hinterwandinfarkt. Jedoch ist es, mit dazugehöriger ischämischer Symptomatik, ein STEMI (ST-Hebungen in zwei zusammengehörenden Ableitungen, hier I und aVL) und gehört in ein Katheterlabor.

    Mit freundlichen Grüßen

    1. Hallo!
      Vielen Dank für Deinen Kommentar.

      Wir haben den Hinterwandinfarkt in diesem Fall als wichtige Info in den Beitrag genommen, da hier von Seiten des Notfallsanitäters und der Notfallsanitäterin besondere Bedingungen entsprechend den Brandenburger Algorithmen beachtet werden müssen.
      So ist die Nitrogabe bei einem Hinterwandinfarkt kontraindiziet.
      Auch wenn es im Text nicht explizit erwähnt wurde, so sollten doch hier zumindest die Alarmglocken im Sinne “Da war doch was!” klingeln.

      Wenn wir auf http://www.focus-ekg.de schauen, dann wird ein Hinterwandinfarkt durch direkte Infarktzeichen in den Ableitungen II, III und aVF (inferiore Ableitungen) angezeigt.
      Ebenso wird in den Kriterien für Infarkt-bedingten EKG-Veränderungen eine neu aufgetretene horizontale oder deszendierende ST-Streckensenkung ≥ 0,5 mm (0,05 mV) in zwei zusammengehörigen Ableitungen benannt.

      Auch wenn uns das EKG leider nicht im Original vorliegt, so würde ich beide Kriterien als erfüllt betrachten, um zumindest einen Infarkt mit Hinterwandbeteiligung zu bestätigen.
      Ohne Frage geht der Infarkt tatsächlich noch weiter hinaus, wie man in den Ableitungen I und aVL erkennen kann.

      Und na klar, so ein EKG Bild samt dazugehöriger Klinik des Patienten gehört dementsprechend behandelt und logischerweise auch in ein Herzkatheter.

  • Hallo. Wenn man schon ein Fallbeispiel auswertet dann bitte mit allen wichtigen Daten zum Einsatz (alter Pat., Symptomatik, Vitalwerte, Komplettes EKG Bild und nicht diese kurze Zusammenfassung des C3) dann sollten die Maßnahmen der Crew erläutert werden sowie die Dokumentation dieser und warum man eventuell so entscheiden hat als NFS sowie die Umstände der Krankenhauslage usw. Ein Fallbeispiel auszuwerten wie oben beschrieben ist nicht neutral gegebenenfalls lehrreich.

    [Vielen Dank für den Hinweis. Wir prüfen das umgehend – Herr Schulz]

    1. Hallo!
      Vielen Dank für Deinen Kommentar.

      Der benannte Einsatz soll gerade eben nicht als Fallbeispiel benannt und ausgewertet werden. Es geht lediglich darum, dass man die Konsequenzen seines Handelns als Notfallsanitäter betrachtet, und eben einen Schritt weiter denkt. Dieses EKG steht eigentlich nur exemplarisch dafür, dass das eigene Handeln auf vielen Ebenen Folgen haben kann und hat.

      Davon ab zeigt die nachfolgende Verlegung des Patienten in ein anderes Haus, dass der Einsatz tatsächlich wohl beträchtliches Optimierungspotential hat, auch ohne die Einsichtnahme weiterer Daten und Infos.

      Letztlich zeigt ja die Anzahl an Kommentaren, dass wir hier einen Nerv getroffen haben. Auch wenn es nicht jedem gefällt, so machen sich unsere Kollegen Gedanken. Und das ist super.

      (Sehr gern würden wir hier auch Fallbeispiele zu interessanten Einsätzen einstellen. Also wenn was Spannendes bekannt ist -> immer her damit.)

      Wegen des Hinweises schauen wir mal. Vielen Dank!

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