1.1 Die Notwendigkeit effektiver Akutanalgesie

Die effektive Behandlung akuter Schmerzen stellt einen integralen, nicht verhandelbaren Bestandteil der modernen präklinischen Notfallversorgung dar und wird im Rahmen der strukturierten Patientenbeurteilung (z. B. ABCDE-Schema) als vorrangiges klinisches Ziel anerkannt.1 Historisch gesehen war die Akutanalgesie im deutschen Rettungsdienst stark durch die Verfügbarkeit von Notärzten geprägt, welche die Verabreichung potenter Analgetika, insbesondere Opioide, verantworteten. Morphinhydrochlorid war dabei lange Zeit das dominante Analgetikum, da es eine nachgewiesene Sicherheit und Wirksamkeit in der Notfallversorgung aufweist.1

Die Ausweitung der Kompetenzen des nicht-ärztlichen Personals, insbesondere der Notfallsanitäter (NFS) in Deutschland, durch das Notfallsanitätergesetz (§ 4 Abs. 2 Nr. 2c NfSG), hat jedoch die Rahmenbedingungen für die prähospitale Schmerztherapie grundlegend verändert.2 Da Notfallsanitäter zunehmend dazu befugt sind, eigenverantwortlich oder im Rahmen ärztlich verantworteter Behandlungspfade (BPR) Analgetika zu verabreichen, ergab sich die Notwendigkeit, Substanzen zu identifizieren, die ein hohes Maß an klinischer Sicherheit mit geringem administrativem Aufwand verbinden. Die Einführung von Nalbuphin in vielen deutschen Rettungsdienstbereichen ist eine direkte Folge dieser Entwicklung, da es als Opioid-Analgetikum nicht unter das Betäubungsmittelgesetz (BtMG) fällt.3

2.1 Morphin: Der reine -Agonist

Morphin fungiert als ein reiner, voller Agonist am Opioid-Rezeptor (MOR). Die analgetische Wirkung wird primär durch die Bindung an diesen Rezeptor im zentralen Nervensystem (ZNS) vermittelt, was zu supraspinaler und spinaler Schmerzlinderung führt.

Das zentrale Sicherheitsdilemma bei Morphin liegt in seiner dosisabhängigen Wirkung auf das Atemzentrum. Als reiner Agonist weist Morphin keine pharmakologische Begrenzung der atemdepressiven Wirkung auf; es existiert kein sogenannter Ceiling-Effekt für die Atemdepression.4 Steigende Dosen Morphin führen zu einer graduell zunehmenden Atemdepression, bis hin zum lebensbedrohlichen Atemstillstand. Dies bedingt im präklinischen Setting eine besonders sorgfältige Titration der Dosis und ein engmaschiges Monitoring, um eine Überdosierung zu vermeiden. Die Morphin-induzierte Atemdepression kann jedoch effektiv und schnell mit dem reinen Antagonisten Naloxon antagonisiert werden.5 Naloxon ist ein Standardmedikament im Rettungsdienst, das zur Umkehrung der Symptome einer Opioid-Intoxikation eingesetzt wird.5

2.2 Nalbuphin: Der gemischte Agonist-Antagonist

Nalbuphin unterscheidet sich fundamental von Morphin, da es ein gemischter Opioid-Agonist-Antagonist ist. Sein Wirkmechanismus beruht auf einer dualen Aktivität: Nalbuphin wirkt als Agonist am κ-(Kappa)-Opioidrezeptor und als Antagonist am μ-(My)-Opioidrezeptor.3

Der wichtigste Sicherheitsvorteil von Nalbuphin ist der pharmakologisch bedingte Ceiling-Effekt (Sättigungseffekt) für die Atemdepression.4 Studien konnten nachweisen, dass die durch Nalbuphin ausgelöste Atemdepression bei steigender Dosis nicht weiter verstärkt wird.4 Dieses einzigartige Sicherheitsmerkmal macht Nalbuphin zu einem potenten Analgetikum mit einem deutlich erhöhten Sicherheitsprofil hinsichtlich der Gefahr einer iatrogenen, lebensbedrohlichen Ateminsuffizienz im Vergleich zu reinen Agonisten.4

Obwohl die atemdepressive Wirkung limitiert ist, ist auch die durch Nalbuphin verursachte Atemdepression durch Naloxon antagonisierbar, was eine zusätzliche klinische Sicherheitsmarge bietet.4 Zu den häufigsten Nebenwirkungen bei der Anwendung von Nalbuphin zählen Sedierung, Übelkeit und Erbrechen.6 Diese gastrointestinalen Beschwerden sind auch aus praktischen Berichten im Rettungsdienst bekannt und stellen eine häufige Ursache für Unzufriedenheit in den aufnehmenden Kliniken dar.8

2.3 Die klinisch kritische Interaktion: Antagonismus bei chronischem Opioidkonsum

Der antagonistische Effekt von Nalbuphin, der für seine Sicherheit bei der Atemdepression verantwortlich ist, schafft gleichzeitig ein spezifisches, klinisch kritisches Risiko: die Auslösung von Entzugssymptomen.

Aufgrund seiner Fähigkeit, Rezeptoren zu blockieren, konkurriert Nalbuphin mit jeglichen exogen zugeführten Opioiden wie Morphin, Fentanyl, Oxycodon oder Tilidin. Wird Nalbuphin einem Patienten verabreicht, der chronisch Opioide einnimmt – sei es im Rahmen einer Schmerztherapie oder einer Opioid-Substitutionsbehandlung (z. B. Methadon) – kann es zu einem plötzlichen, schweren Opioid-Entzugssyndrom kommen.9 Die Fachinformation betont diese Kontraindikation ausdrücklich und warnt davor, Nalbuphin als Substitutionsmittel bei abhängigen Patienten einzusetzen, da die Entzugserscheinungen signifikant verstärkt werden können.10

In der präklinischen Praxis ist dieses Risiko evident geworden. Fallberichte aus Pilotprojekten im Rettungsdienst zeigen Situationen, in denen Patienten, die bereits in ihrer Dauermedikation Opioide (z. B. Tilidin oder Oxycodon) erhielten, nach der Gabe von Nalbuphin eine Zunahme der Schmerzen erfuhren, was einen Wechsel zu einem reinen Agonisten (Fentanyl) erforderlich machte.8

Die unterschiedliche Pharmakologie führt zu einem dualen Risiko-Paradigma im Rettungsdienst. Morphin, der reine Agonist, birgt das primäre und intrinsische Risiko der Überdosierung durch eine nicht-limitierte Atemdepression. Im Gegensatz dazu trägt Nalbuphin das Risiko des Fehleinsatzes, nämlich die potenzielle Auslösung eines akuten Entzugs, wenn die Anamnese bezüglich chronischen Opioidkonsums unvollständig ist. Dies verschiebt den Fokus der Sicherheitsanforderungen für den Notfallsanitäter von der reinen Dosierungsdisziplin (Morphin) hin zur zwingenden sorgfältigen Patientenanamnese (Nalbuphin) im oft stressigen Notfalleinsatz. Die Entwicklung von Behandlungspfaden muss diesem Anamneserisiko Rechnung tragen.

Der pharmakologische und klinische Vergleich wird in der folgenden Tabelle zusammengefasst:

KriteriumMorphin (Reiner Agonist)Nalbuphin (Agonist-Antagonist)Quelle(n)
WirkmechanismusVoller Agonist am RezeptorAgonist und Antagonist3
AtemdepressionDosisabhängig (kein Ceiling-Effekt)Dosisbegrenzt (Ceiling-Effekt)4
AntagonisierbarkeitVollständig durch NaloxonJa, auch durch Naloxon4
Risiko Opioid-EntzugGering/Nicht zutreffendHoch bei chronischem Opioid-Konsum (Auslösung/Verstärkung)5
BtMG-Status (Deutschland)Ja (Anlage III)Nein3

3.1 Morphin: Die umfassende Regulierung durch das Betäubungsmittelgesetz (BtMG)

Morphin fällt als potentes Opioid unter die Bestimmungen des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) und der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung (BtMVV).11 Dies impliziert einen erheblichen administrativen und logistischen Aufwand für Rettungsdienstträger.

Lagerungssicherheit: Die Betäubungsmittel-Sicherungsrichtlinien erfordern definierte, hohe Standards für die Lagerung und den Transport von Morphin, um eine unbefugte Entnahme zu verhindern.13 Dies beinhaltet die Aufbewahrung in speziellen BtM-Tresoren, die oft bestimmte mechanische Anforderungen an die Wand-, Decken- und Bodenkonstruktion erfüllen müssen, selbst im mobilen Rettungswagen-Setting. Im Krankenhausbereich umfassen diese Anforderungen auch die Notwendigkeit von akustischen Alarmen und elektronischer Weiterleitung der Alarmierung bei Manipulationsversuchen.13 Der Umgang mit Morphin im Rettungsdienst erfordert somit hohe Investitionen in Sicherheitstechnik und eine strenge Kontrolle des Zugangs, typischerweise geregelt über schriftliche Verteilerpläne für Notschlüssel und personenbezogene Zugriffs-Dokumentation.13

Dokumentationspflicht: Die BtMVV verlangt eine akribische Buchführung über den gesamten Verbleib von BtM. Bei jeder Entnahme muss eine detaillierte Dokumentation im BtM-Nachweisbuch erfolgen, die Angaben zur genauen Bezeichnung des Betäubungsmittels, dem BtM-Gehalt je Einheit/Qualität/Charge sowie den Anfangs- und Endbestand umfasst.14 Dies gilt auch für die Entsorgung nicht mehr benötigter oder kontaminierter Ampullen.14 Die Einhaltung dieser Vorgaben ist zeitaufwendig und fehleranfällig, was das administrative Risiko für das ärztliche Personal und die Träger des Rettungsdienstes erhöht.

Delegation und Verantwortung: Die Verabreichung von Morphin durch Notfallsanitäter ist in Deutschland nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig, entweder im Rahmen der sogenannten Notkompetenz bei unmittelbarer Lebensgefahr oder durch eine ärztliche Delegation.2 Ungeachtet der klinischen Delegation bleibt die gesamte Verwaltung und der Nachweis des Verbleibs von BtM primär in der Verantwortung des ärztlichen Leiters des Rettungsdienstes.15

3.2 Nalbuphin: Die Vereinfachung des Handlings

Der entscheidende logistische Vorteil von Nalbuphin im Kontext des deutschen Rettungsdienstes liegt in seinem regulatorischen Status: Nalbuphin fällt nicht unter das BtMG, da es als gemischter Agonist-Antagonist nicht die Kriterien für eine BtM-Klassifizierung erfüllt.3

Vorteile im Handling: Die Nicht-BtMG-Pflichtigkeit eliminiert die Notwendigkeit spezieller Sicherheitstresore und die aufwendigen baulichen oder technischen Sicherungsmaßnahmen, die für Morphin gelten.13 Die Lagerung und der Transport erfolgen analog zu anderen Standard-Medikamenten im Notfallkoffer oder -rucksack. Ebenso entfällt die komplexe BtM-Buchführung.14 Die Dokumentation beschränkt sich auf die normale Protokollierung der Gabe im Einsatzbericht, wodurch der bürokratische Aufwand für das Personal drastisch reduziert wird.7

Die BtMG-Freiheit vereinfacht zudem die Implementierung von Standard-Arbeitsanweisungen (SOPs) zur eigenverantwortlichen Anwendung durch Notfallsanitäter.7 Dies ermöglicht eine schnelle und niedrigschwellige Schmerztherapie ohne die zwingende Anwesenheit oder aufwendige Telekonsultation eines Notarztes.

Systemdesign-Implikation: Die Entscheidung, Nalbuphin flächendeckend einzuführen, ist oft eine strategische Systementscheidung. Durch die Eliminierung des BtMG-Overheads (hohe Investitionen in Tresore, Personalressourcen für die revisionssichere Dokumentation, Compliance-Risiken) wird der Weg für eine breitere und schnellere prähospitale Schmerztherapie freigemacht. Das System tauscht das hohe, allgemeine organisatorische Risiko der BtMG-Compliance gegen das geringere, aber spezifische pharmakologische Risiko der Entzugssymptomatik bei Nalbuphin.

Der logistische Vergleich verdeutlicht die unterschiedlichen Herausforderungen:

AnforderungsbereichMorphin (BtMG-pflichtig)Nalbuphin (Nicht-BtMG-pflichtig)Quelle(n)
RechtsgrundlageBtMG / BtMVVAllgemeines Arzneimittelrecht3
Lagerung/TransportHochsicher (BtM-Tresor, Spezifikationen gemäß Sicherungsrichtlinien)Standard-Medikamentenlagerung13
DokumentationAkribische Buchführung (BtM-Nachweis, Formblätter)Normale Protokollierung im Einsatzbericht7
Eigenverantwortliche Gabe (NFS)Unterliegt strikter Delegation oder NotkompetenzErleichtert durch Standard-SOPs (BPR)2

4.1 Die Relevanz der Observationsstudie (Strickmann et al.)

Eine der wichtigsten Studien in diesem Kontext ist eine multizentrische Beobachtungsstudie, die die Wirksamkeit und Komplikationen der prähospitalen Analgesie durch Notfallsanitäter evaluierte.16 Die Studie verglich zwei unterschiedliche Ansätze in deutschen Rettungsdienstbereichen: die Behandlung in Gütersloh, wo Nalbuphin in Kombination mit Paracetamol eingesetzt wurde, mit der Behandlung in Fulda, wo Piritramid (ein reiner Agonist, der in Deutschland häufig anstelle von Morphin verwendet wird) als Analgetikum zur Anwendung kam.16 Die Ergebnisse dieser Studie sind besonders relevant, da sie reale klinische Daten zur Anwendung durch Notfallsanitäter liefern, die durch die veränderten regulatorischen Rahmenbedingungen möglich wurden.

Die Analyse umfasste insgesamt 2429 Analgesie-Gaben. Die Nalbuphin-Gruppe stellte mit  die größere Kohorte dar, während in der Piritramid-Gruppe  Behandlungen evaluiert wurden.16

4.2 Analgetische Wirksamkeit (NRS-Vergleich)

Die Schmerzintensität wurde mittels der Numerischen Rating Skala (NRS) zu Beginn und am Ende des Einsatzes gemessen.16 Die Ausgangswerte zeigten, dass beide Patientengruppen mit starken Schmerzen versorgt wurden (Nalbuphin, Piritramid). 16

Die Ergebnisse zeigten am Ende des Einsatzes eine signifikant bessere Schmerzreduktion in der Nalbuphin-Gruppe.

Die Chance, eine klinisch erfolgreiche Analgesie zu erzielen, definiert als NRS-Wert unter 4 am Einsatzende, war in der Nalbuphin-Gruppe deutlich erhöht: 48.7% der Patienten in der Nalbuphin-Gruppe erreichten einen NRS < 4, im Vergleich zu nur 23.9% in der Piritramid-Gruppe.16 Die multivariable Analyse bestätigte, dass die Behandlung mit Nalbuphin + Paracetamol die Odds, einen NRS < 4 zu erreichen, signifikant erhöhte (Odds Ratio: 2.712, ).16

4.3 Kritische Bewertung der Wirksamkeitsdaten

Die festgestellte Überlegenheit der Nalbuphin-Gruppe in Bezug auf die analgetische Wirksamkeit (NRS-Reduktion und Erfolgsrate) muss kritisch interpretiert werden, da die Nalbuphin-Kohorte in Kombination mit Paracetamol behandelt wurde.16 Piritramid wurde in dieser Studie als Monotherapie angewendet. Paracetamol ist ein etabliertes Analgetikum, dessen Beitrag zur multimodalen Schmerztherapie signifikant ist. Die überlegene Wirksamkeit ist somit nicht allein auf Nalbuphin zurückzuführen, sondern auf das implementierte Behandlungskonzept der multimodalen Analgesie. Dies unterstreicht die Empfehlung, Nalbuphin nicht isoliert, sondern als Teil eines umfassenden Analgesie-Algorithmus einzusetzen, was im Einklang mit modernen Schmerztherapie-Leitlinien steht.17

4.4 Sicherheitsprofil und Komplikationsraten

Der Vergleich der Komplikationsraten liefert die stärkste Evidenz für den Sicherheitsvorteil von Nalbuphin im präklinischen Setting. Die Gesamtkomplikationsrate war in der Nalbuphin + Paracetamol-Gruppe mit 2.1% signifikant niedriger als in der Piritramid-Gruppe mit 5.5%.16 Patienten, die mit Piritramid behandelt wurden, hatten ein fast dreifach erhöhtes Risiko für Komplikationen (Odds Ratio: 2.699, ).16 Die häufigsten Komplikationen in beiden Gruppen waren Übelkeit und Erbrechen.8

Schwere respiratorische und hämodynamische Ereignisse: Der kritische Unterschied liegt im Auftreten schwerer Komplikationen. Die Analyse zeigte, dass schwere respiratorische oder hämodynamische Insuffizienzen ausschließlich nach der Verabreichung des reinen -Agonisten Piritramid auftraten.16 Im Gegensatz dazu wurden in der Nalbuphin-Gruppe keine schweren respiratorischen Ereignisse dokumentiert.16

Dieses klinische Ergebnis bestätigt eindrücklich die funktionale Relevanz des pharmakologischen Ceiling-Effekts von Nalbuphin.4 Die Abwesenheit lebensbedrohlicher Atemdepressionen nach Nalbuphin-Gabe, insbesondere bei der Verabreichung durch nicht-ärztliches Personal, validiert dessen überlegenes Sicherheitsprofil in der präklinischen Routine. Dies ist das Hauptargument, das die breite Einführung von Nalbuphin als primäres Analgetikum für Notfallsanitäter in vielen Regionen Deutschlands legitimiert.

Ergebnisse klinischer Studien zur präklinischen Wirksamkeit und Sicherheit (Auszug aus Strickmann et al.)

MetrikNalbuphin + Paracetamol (N=1635)Piritramid (N=794)SignifikanzQuelle(n)
Initialer NRS-Wert (Mittelwert  SD)16
NRS-Wert am Einsatzende (Mittelwert  SD)16
Erfolgsrate (NRS < 4 am Ende)48.7%23.9%OR: 2.712 ()16
Gesamtkomplikationsrate2.1%5.5%OR: 2.699 ()16
Schwere Komplikationen (Respiratorisch/Hämodynamisch)0%Ausschliesslich in dieser GruppeStarker Trend16

5.1 Der Konflikt: Regulatorische Effizienz vs. Klinische Komplexität

Der Vergleich von Nalbuphin und Morphin verdeutlicht einen tiefgreifenden Konflikt zwischen systemischer Effizienz und klinischer Komplexität.

Nalbuphin bietet massive logistische und regulatorische Vorteile, da es BtMG-frei ist.3 Dies vereinfacht das Handling und die Dokumentation und reduziert das administrative und juristische Risiko für Träger und Personal erheblich.13 Hinzu kommt der signifikante Sicherheitsvorteil gegenüber reinen Agonisten hinsichtlich der letalen Atemdepression.4

Morphin und andere reine Agonisten (wie Fentanyl) vermeiden hingegen das Risiko des induzierten Entzugssyndroms, das bei Patienten mit chronischer Opioidtherapie oder Opioidabhängigkeit bei Nalbuphin auftritt.10 Der Einsatz von Nalbuphin erfordert daher von Notfallsanitätern eine hohe kognitive Leistung und Sorgfalt bei der Anamnese, um Kontraindikationen zuverlässig auszuschließen.8 Diese Anforderung an das Screening ist kritischer als die Dosierungsüberwachung bei Morphin.

5.2 Die Herausforderung der klinischen Weiterversorgung (Continuity of Care)

Eine weitere Herausforderung bei der präklinischen Gabe von Nalbuphin betrifft die Kontinuität der Schmerztherapie bei der Übergabe in die klinische Weiterversorgung (Notaufnahme oder Schockraum). Die Bedenken des klinischen Personals basieren ebenfalls auf der dualen pharmakologischen Eigenschaft von Nalbuphin als -Antagonist.

Temporäre Antagonisierung: Da Nalbuphin die Rezeptoren blockiert, kann die nachfolgende Gabe eines reinen -Agonisten (wie Morphin, Fentanyl oder Piritramid) im Krankenhaus temporär in ihrer Wirksamkeit reduziert sein.7 Der antagonistische Effekt von Nalbuphin führt zu einer kompetitiven Verdrängung am Rezeptor, was bedeutet, dass die für die Analgesie im Krankenhaus gewählte -Agonisten-Dosis möglicherweise nicht die erwartete schmerzlindernde Wirkung erzielt. Da die Wirkdauer von Nalbuphin bis zu 3–6 Stunden betragen kann, ist diese potenzielle Interaktion über einen relevanten Zeitraum wirksam.

Zusätzliche Nebenwirkungen: Unabhängig von der Antagonisierung klagen aufnehmende Krankenhäuser aus Regionen mit Nalbuphin-Einführung vereinzelt über die Behandlung von Patienten, die nach der präklinischen Gabe von Nalbuphin vermehrt über Übelkeit und Erbrechen berichten.8 Diese Nebenwirkungen sind zwar als häufig bekannt 6, führen aber zu zusätzlichem Behandlungsbedarf in der Notaufnahme.

Diese Aspekte verschieben das Problem des Nalbuphin-Einsatzes vom präklinischen Sicherheitsvorteil (Ceiling-Effekt) hin zur klinischen Komplexität der Weiterbehandlung. Das Krankenhauspersonal muss über die Gabe von Nalbuphin informiert sein, um bei persistierenden Schmerzen oder notwendiger Opioid-Eskalation die analgetische Strategie anzupassen oder erhöhte Dosen reiner Agonisten zu berücksichtigen, die den Antagonismus überwinden können.

5.3 Positionierung im therapeutischen Algorithmus

Die Evidenz und die logistischen Rahmenbedingungen legen eine klare Positionierung der beiden Opioid-Klassen im prähospitalen Algorithmus nahe.

Nalbuphin als primäres Analgetikum des Notfallsanitäters: Aufgrund des überlegenen Sicherheitsprofils (Ceiling-Effekt, keine schweren respiratorischen Komplikationen in Studien) und der BtMG-Freiheit eignet sich Nalbuphin, idealerweise als Teil einer multimodalen Analgesie (z. B. mit Paracetamol), hervorragend als Erstlinienanalgetikum für Notfallsanitäter bei mittelstarken bis starken Schmerzen (NRS > 5).7

Morphin (oder andere reine Agonisten) als Reserve und für spezifische Indikationen: Reine Agonisten wie Morphin oder Fentanyl bleiben unentbehrlich und müssen für Notärzte und gegebenenfalls für Notfallsanitäter unter ärztlicher Delegation in folgenden Situationen verfügbar sein:

  1. Bei Patienten mit bekannter Opioid-Abhängigkeit oder chronischer Opioidtherapie (z. B. Tilidin, Oxycodon, Methadon), bei denen Nalbuphin aufgrund der Gefahr der Entzugsauslösung kontraindiziert ist.8
  2. In Situationen, in denen der Schmerzgrad den möglichen Ceiling-Effekt von Nalbuphin übersteigt (obwohl hier oft eine Eskalation der Therapie und eine Notarztindikation vorliegt).
  3. Bei Patienten, für die Fentanyl (aufgrund seiner kurzen Wirkzeit oder der minimalen Histaminfreisetzung im Vergleich zu Morphin) als hämodynamisch günstigerer reiner -Agonist indiziert ist.1

5.4 Ausblick und Notwendigkeit standardisierter SOPs

Der erfolgreiche Einsatz von Nalbuphin durch Notfallsanitäter ist untrennbar mit der Qualität der lokalen Behandlungspfade und der Schulung des Personals verbunden.7 Die Ergebnisse der Pilotprojekte (Strickmann et al.) bestätigen, dass standardisierte Prozesse, die Nalbuphin (mit Paracetamol) zur Anwendung bringen, zu besseren klinischen Ergebnissen bei gleichzeitig geringerem Komplikationsrisiko führen als die Monotherapie mit Piritramid.16

Die weitere Entwicklung der AWMF-Leitlinien für die präklinische Akutschmerztherapie muss diese robusten Sicherheitsdaten berücksichtigen, um klare, evidenzbasierte Empfehlungen für den Einsatz von Nalbuphin durch den Notfallsanitäter zu etablieren. Eine Kernforderung bleibt dabei die zwingende Integration der Kontraindikationen und die transparente Kommunikation der Nalbuphin-Gabe an die aufnehmende Klinik in die Schulung und die Anwendungspfade.

Referenzen
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  18. Organisatorisch-strukturelle Rahmenbedingungen beeinflussen die Analgesie durch Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter: eine Routinedatenanalyse | springermedizin.de, Zugriff am Oktober 12, 2025, https://www.springermedizin.de/morphin/esketamin/organisatorisch-strukturelle-rahmenbedingungen-beeinflussen-die-/50401286
Morphin vs. Nalbuphin: Ein Vergleich der Schmerztherapie

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